Fellbeißen und andere Verhaltensstörungen

Allgemeines zu Verhaltensanomalien

Das Fellbeißen (auch Fellfrass, Fellbenagen genannt) ist eine Verhaltensstörung, die bei Kleinsäugern und allgemein Haustieren nicht all zu selten vorkommt. Auch andere Selbstverstümmelungsarten existieren wie z.B. das Schwanz-Beknabbern oder Federn-Ausreißen. Betroffen sind nicht nur Nager und andere Kleinsäuger, sondern auch Tiere generell, so zum Beispiel Katzen, Hunde oder Vögel.

Kleine Übersicht möglicher Verhaltensstörungen bei Haustieren (besonders oft bei Versuchstieren, Tierfarmtieren und Tieren in der Massentierhaltung anzutreffen):

  • Monotone Handlungsabläufe: Gitter-, Heuraufe-, Napf- und Trinkflaschenröhrchen benagen und beknabbern
  • Übersprungshandlungen oder Ersatzhandlungen: sich Putzen; Trinken, Fressen
  • Monotone Bewegungsabläufe / Stereotypien: In der Ecke Scharren, in der Einstreu scharren; sich im Kreise drehen/ laufen, sich mit dem Körper hin und her bewegen; Zurücklegung immer der selben Strecke z.B. entlang des Gitters (hin und her springen, hin und her laufen) - ein Video eines Kaninchens mit solcher Verhaltensstörung bei Youtube
  • Autoaggressionen: Fellbeißen / Fellfrass / Fellbenagen; Federn / Fell rausreißen; Körperteile beknabbern bis hin zu einer Wundentstehung und Gliedmaßenabbeißen; gegen Gegenstände rennen
  • Aggressionen: Fellfrass bei Artgenossen, Fell rausreißen bei Artgenossen; Angriffe auf Artgenossen bis hin zum Kannibalismus; Angriffe auf den Halter

Im Folgendem beziehe ich mich lediglich auf das Fellbeißen, jedoch gelten die Ursachenquellen und Lösungen für die meisten Formen der Verhaltensstörungen.

 

Infos zum Thema Fellbeißen

Das Fell wird vor allem an den Seiten des Unterkörpers abgenagt, aber ebenfalls am Bauch- und Brust-, Genital- und Hinterfußbereich. Bei starken Fellbeißern ist auch die Rückenpartie betroffen bzw. generell alle Fellpartien, an die das Tier mit seinen Zähnen hingelangen kann. Auch können die Schwanzhaare betroffen sein. Meistens wird nicht das komplette Fell abgenagt, sondern nur ein Teil davon - d.h. in der Regel ist die Haut des Tieres noch nicht sichtbar.

 

Man unterscheidet zwischen 2 "Arten" des Fellbeißens: dem akuten und chronischem Fellbeißen.

 

Ein Chinchilla mit chronischem Fellbeißen, dessen Störung zeitweise durch zusätzliche Außen-Faktoren (Streit in Gruppe; erforderliche vorübergehende Einzelhaltung) begünstigt wurde:

Akutes Fellbeißen

Handelt es sich um eine akute/vorübergehende Fellbeißer-Störung, so kann diese folgende Ursachen haben:

allgemeine & haltungsbedingte Ursachen

  • neuer Standort des Käfigs
  • neue Einrichtung
  • neue unbekannte Geräusche (z.B. Straßenbauarbeiten)
  • hohe Lautstärke (z.B. Baulärm, Geschrei, TV, Musik)
  • neue(r) Partner
  • Wetter- oder Jahreswechsel
  • zu wenig Bewegung (zu kleiner Käfig; kein Auslauf, Überbesetzung des Käfigs)
  • Langeweile
  • Tod des Partnertieres
  • Einzelhaltung von sozialen Tieren
  • Streit in der Gruppe z.B. Rangordnungsstreitigkeiten, übertriebene Dominanz
  • übersteigerter Mutterinstinkt und Geschlechtstrieb (=hormonelle Ursachen)
  • Überforderung durch einen zu häufigen Zuchteinsatz bei Weibchen
  • besonders nervöse(s) Partnertier(e)
  • Stressübertragung des Halters oder einer anderen im Haushalt lebenden Person (Tiere sind sehr feinfühlig, was die Stimmungen in ihrer Umgebung betrifft - sie können auch auf psychischen Stress des Menschen reagieren)
  • zu wenig Nagemöglichkeiten (Äste, Zweige, Kork, Einrichtung wie Häuschen und ungesicherte Sitzbretter aus weicherem Holz)
  • fehlender Zugang zum Bad mit geeignetem Chinchillasand
  • zu häufiges Einfangen vom unzahmen Tieren
  • zu häufiges Wechseln der Partner / der Gruppenkostellation

ernährungsbedingte Ursachen

  • Futterumstellung
  • Hunger aufgrund zu wenig oder keines Futters
  • Mangelernährung/ falsches Futter (z.B. zu wenig strukturierte Rohfaser (= Heu, ganze Kräuter, Zweige...), ungesättigte Fettsäuren, Mineralstoffe)

pathologischbedingte Ursachen

  • Krankheitserreger im Haut oder/ und Fell wie Pilz, Bakterien oder Milben
  • Schmerzen
  • Taubheitsgefühl

Wird die Störquelle, die zum Abnagen des Felles führt, vom Halter gefunden und beseitigt, so verschwindet diese Verhaltensstörung und das Fell wächst vollständig wieder nach. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass das Fellbeißen irgendwann einmal wiederkehrt, da das Tier eine Prädisposition für das Problem zu haben scheint.

Anmerkung:
Vor dem Winter treten bei nicht wenigen Chinchillas stellen im Fell, meist im Bereich über und an den Hinterläufen, auf, die wie Fellbeißen aussehen können, jedoch handelt es sich hier nur um einen Fellwechsel, der von selber schnell wieder verschwindet.

Chronisches Fellbeißen

Handelt es sich jedoch bei dem Fellbeißen um ein chronisches/dauerhaftes Problem, so bleibt diese Verhaltensanomalie das gesamte Leben lang präsent. Das Fell wird nie vollständig nachwachsen, weil das Tier immer wieder daran kaut. Es gibt aber Phasen, in denen es zumindest zum größten Teil nachwächst.

Kommen bei einem chronischen Fellbeißertier die oben genannten Störfaktoren (Vgl. Ursachen für das akute Fellbeißen) hinzu, so kann es bei ihm zu einem noch intensiveren Fellbenagen kommen, im heftigsten Fall ähnelt das Erscheinungsbild des Chinchillas aufgrunddessen einem Löwen, da er nur noch am Kopf ganze Fellhaare besitzt (sog. Löwenmähne).

Für das dauerhafte Fellbeißen soll die Vererbung / Genetik verantwortlich sein. Oft ist bereits ein Eltern- oder ein Großelterntier von dieser Anomalie betroffen.
Auch eine Störung im Hormonhaushalt wird als Ursache in Betracht gezogen und diskutiert - jedoch fehlen hier noch genaue Studien.

Es gibt Tiere, die die Prädisposition für das Fellbeißen in sich tragen (erblich bedingt), ohne dass es ausbrechen muss. Es bedarf manchmal erst eines Anstoßes, damit das Fellbeißen beginnt ausgeführt zu werden. Diesen Anstoß bilden die oben genannten Störfaktoren für das akute Fellfressen.

Fazit

Bei beiden Arten des Fellbeißens und bei allen Verhaltensanomalien sollte dem betroffenen Tier eine möglichst ausgeglichene und tiergerechte Lebensweise geboten werden, in welcher er seine arttypischen Verhaltensweisen ausleben kann - was eigentlich immer der Fall sein sollte!